Rundlinge - Runde Dörfer im Wendland
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Rundlinge" sind kleine rundliche Dörfer mit einem speziellen Grundriss
und weiteren Merkmalen. Die Gebäude stehen mit ihrem Giebel zu einem
runden oder ovalen Dorfplatz. Es handelt sich um eine Dorfform, die
nur in einem kleinen Bereich von Nord-Deutschland, dort aber in großer
Zahl, zu finden ist. Das Wendland, der Landkreis Lüchow-Dannenberg,
liegt im Osten von Niedersachsen, etwa in der Mitte von Berlin,
Hamburg und Hannover. Ursprünglich gab es Rundlinge in einer
großen Region.
Aber im Laufe der Jahrhunderte wurden sie außerhalb des Wendlands fast
überall umgeformt, so dass sie nur noch aus historischen Dokumenten
als Rundlingsdorf nachzuweisen und heute nur mit viel Fantasie als
solche zu erkennen sind. Im Wendland dagegen
überlebte diese Dorfform die Jahrhunderte. |
![](../Fotos/Luftbild-Mammoissel-B.Kulow.jpg)
Rundling Mammoißel |
Die Geschichte und Herkunft der Rundlinge
Es gibt keine zeitgenössischen historischen Aufzeichnungen über die
Gründung der Rundling, aber in den letzten Jahrzehnten sind die
Historiker zu dem Konsens gelangt, dass die Rundlinge im 12.
Jahrhundert als neue Siedlungen gegründet wurden und zwar in einem
relativ kurzen Zeitraum und nach einem Konzept des damaligen
germanischen / deutschen Adels. Nach der fundierten Theorie von
Professor Dr. Wolfgang Meibeyer fanden die gezielten Neugründungen in
einem bis dahin dünn besiedelten Raum statt, in dem aber schon
slawische Stämme ansässig waren. Auch die Neusiedler waren Slawen (=
Wenden). Ob sie angeworben wurden, durch freiwillige Entscheidung
kamen oder nach kriegerischen Handlungen zwangsumgesiedelt wurden, ist
nicht belegt. Urkundlich werden von Slawen bewohnten Dörfer (villae
slavica) lediglich erwähnt. Die folgenden Jahrhunderte zeigen im
gesamten Rundlingsgebiet ein friedfertiges Nebeneinander von deutscher
Bevölkerung, vorwiegend in den Städten, und Slawen in den Dörfern.
Dies führt schließlich zu einer Assimilation und Auflösung der Slawen
als separate ethnische Gruppe mit eigener Sprache. Eine kleinräumige
Ausnahme besteht außerhalb des Rundlingsgebiets in der Lausitz mit der
sorbischen Sprache. "Wendisch" oder "dravänopolabisch", eine slawische
Sprache, die in der Region um Lüchow und Dannenberg gesprochen wurde,
blieb hier bis ins 18. Jahrhundert lebendig. Die schriftlichen
Überlieferungen aus der Zeit um 1725 in der Chronik von Johann Parum
Schultze aus dem Dorfe Süthen dokumentieren den Verlust der wendischen
Sprache. Spuren sind in zahlreichen Orts- und Gemarkungsbezeichnungen
sowie in Familiennamen zu finden. Die Bezeichnung „Wendland“ taucht in
Schriften des 17. Jahrhunderts erstmals auf und wird dort auf die
Region bezogen, die heute in etwa dem Landkreis Lüchow-Dannenberg
entspricht (ein wenig darüber hinaus in Richtung Lüneburg und Uelzen).
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![](../Fotos/buch-meibeyer.jpg)
Dr. Wolfgang Meibeyer,
Rundlinge und andere
Dörfer
im Wendland
ISBN 3-925861-21-1
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Sind Rundlinge slawisch oder Deutsch?"
Rundlinge" sind somit eng mit
der Existenz der slawischen Volksgruppe der Wenden verbunden, aber sie
scheinen eine deutsche Entwicklung. Es gibt keinen Beleg dafür, dass
die runde Form der Siedlungen im wesentlichen slawischen Ursprungs
wäre, wie man lange angenommen hat. Sie entstanden während der
Ostkolonisation in der Mitte des 12. Jahrhunderts unter Heinrich dem
Löwen.
Unter der Kontrolle des deutschen Adels wurden in einem großen
Gebiet neue Siedlungen nach einheitlichem Muster gegründet. Es wurden
jeweils 3 bis 11 Hofgebäude um einen zentralen Dorfplatz in Form eines
Hufeisens oder eines Teilrunds mit breiter Öffnung zu den Feldern
aufgebaut, also zunächst nicht als geschlossenes Rund. Alle Höfe
erhielten die gleiche Grundfläche und zur Bewirtschaftung in der
Feldmark den gleichen Anteil an Fläche von jeder Bodengüte. Nur dem
Hof gegenüber dem Ortseingang wurde zusätzliches Land zugeteilt (Güsteneitz).
Hier siedelte der „Schulze“ mit der Funktion eines Ortsvorstehers. |
Wie sehen Rundlinge aus?
Die zunächst sehr kleinen Siedlungen lagen
abseits der Verkehrswege, um einen offenen zentralen Dorfplatz und
ohne öffentliche Durchfahrt, also als Sackgasse. Die wenigen Höfe
bewirtschafteten eine kleine Gemarkung, an die sich schon das Land des
nächsten Dorfes anschloss. Wo immer es zwar karges aber
bewirtschaftbares Land gab, wurden kleine Siedlungen in geringer
Entfernung voneinander gegründet. Dieses Siedlungsmuster hat sich in
der Region Lüchow-Dannenberg bis heute weitgehend erhalten. Zwar
wurden im Laufe der Jahrhunderte manche Orte wegen Seuchen, Krieg oder
ähnlich katastrophalen Ereignissen aufgegeben (etwa 110 „Wüstungen“
sind bekannt), aber bis heute gibt es mehr als 300 Wohnplätze mit
eigenem historischen Ortsnamen. Das Dorf ist in der Regel eingebettet
in eine typische Topografie am Übergangssaum zwischen feuchten,
grundwassernahen Fluss- oder Bachniederungen und der höher gelegenen
leicht hügeligen Geest mit trockenen, sandig-lehmigen Böden.
Der
Dorfzugang komm in der Regel von der höheren Ackerflur. Die Höfe
reichen rückwärtig bis ins feuchte Grünland. |
![](../Fotos/02_Lbeln-2.jpg)
Lübeln
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Die runde Form kam erst nach dem 12. Jahrhundert
Die ursprüngliche Form
des Rundlinge war halbkreisförmig mit Abstand zwischen den
Hofgebäuden. In den folgenden Jahrhunderten des späten Mittelalters
wuchs die Bevölkerungszahl und es wurden Höfe geteilt und weitere Höfe
am bis dahin breiten Dorfeingang angesiedelt. Dabei lässt sich
aufgrund von Lehensregistern die Phase der Hofteilungen im 15.
Jahrhundert datieren.
Durch die Teilung der vorher gleich großen Höfe (incl
Ländereien „Hufe“ genannt) entstanden halbe und viertel Hufen. Die
Bebauung des Dorfes mit Hofgebäuden wurde verdichtet und es entstand
ein vollständiges Rund (oval oder kreisrund) mit einem einheitlichen
Stil von Bauernhäusern (hier Niederdeutsche Hallenhäuser), die alle
mit ihrem Giebel zum gemeinsamen Dorfplatz zeigen. Die einzige
Dorfzufahrt wurde dabei sehr eingeengt. Die Teilung der Höfe scheint
nicht wegen Vererbung an mehrere Hofnachfolger geschehen zu sein,
sondern aufgrund von Anweisungen der Lehnsherren. In der
spätmittelalterlichen Gesellschaft waren die Bauern in dieser Region
nicht Leibeigene von Großgutsbesitzern, aber sie waren den adligen
Gütern lehnspflichtig (abgaben- und dienstpflichtig). Im Interesse der
Lehnsherren lag es, eine größere Anzahl von pflichtigen Bauern zu
haben und sie konnten die Anweisung geben, einen Hof zu teilen.
So
entwickelten sich bis ins 18. Jahrhundert die Rundlinge mit
Unterschieden in Größe und Bebauungsdichte, aber nach einem
einheitlichen Konzept. An diesem Konzept wurde lange festgehalten,
auch wenn ganze Dörfer abbrannten und zum Wiederaufbau ein anderer
Dorfgrundriss möglich gewesen wäre.
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![](../Fotos/18_Bussau-kl.jpg)
Bussau
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Keine
Kirchen im Rundling
Ein weiteres Kennzeichen dieser Dörfer, das auf das Mittelalter
zurückgeht, ist die außerhalb des Rundlings stehende Kirche. Mehrere
Dörfer teilen sich eine Kirche, aber nie steht sie im Rundling. Eine
Erklärung wird in der späten Christianisierung gesehen. Dazu heißt es,
dass die missionierenden Mönche kamen, als die Rundlinge schon
bestanden. Die Bauern waren zwar bereit, eine Kirche (kleine Kapelle)
zu bauen, aber mit Distanz zu ihrem Dorf. Genauso verlief es später
mit Schulgebäuden, Gaststätten, Kaufläden oder größeren Werkstätten
und Gewerbebetrieben. Das Dorfrund behielt sein einheitlichen Bild der
schmuckvollen Giebel der Niederdeutschen Halfenhäuser, andersartige
Gebäude waren im Rund anscheinend nicht erwünscht. Allerdings gab es
auf dem Dorfplatz ein kleines Versammlungsgebäude, den „Burstawen“. |
![](../Fotos/055-Krummasel-P1070541.jpg)
Krummasel |
Der Rundling und das Niederdeutsche Hallenhaus
Die Dorfstruktur der
Rundlinge einerseits und die dort stehen Bauernhäuser andererseits
(Grundriss und Aufriss) sind als zwei getrennte Entwicklungen zu
betrachten. Das harmonische Zusammenspiel beider Konzepte macht die
Rundlinge im Wendland so attraktiv. Der Bauernhaustyp “Niederdeutsches
Hallenhaus“ entstand in der norddeutschen Tiefebene von den
Niederlanden bis Polen, jedoch nach Süden begrenzt durch eine Linie
Dortmund-Braunschweig-Stettin. Das Gebiet der Rundlingsgründungen
zieht sich dagegen vom westlichen Teil der Ostsee in einem breiten
Streifen links und rechts der Elbe nach Süden bis Böhmen. Beide
Verbreitungsgebiete überschneiden sich ohne deckungsgleich zu sein.
Das
"Niederdeutsche Hallenhaus", ein „Alles-unter-einem-Dach-Gebäude“ von
beträchtlicher Größe, beherbergte nicht nur den Bauern und seine
Familie, sondern auch sein Vieh, die Futtervorräte und Arbeitsgeräte.
Allerdings gab es auf dem Hof Nebengebäude wie Scheune, kleiner
Schweinestall, Backhaus und andere. Typischerweise ist das Hallenhaus
mit Stall und Wirtschaftsdiele zum Dorfplatz gerichtet, während auf
der Rückseite der Wohnbereich zum Hof und Garten blickt.
Die
keilförmigen Hofgrundstücke ergeben um den Dorfplatz geordnet ein Bild
von Tortenstücken oder Kreissektoren. Die Teilung der Grundstücke hat
in den meisten Fällen zu einer gleichmäßigen Verkleinerung der
Tortenstücke und Verdoppelung ihrer Anzahl geführt.
Aber in vielen
Rundlingen verlief die Entwicklung nicht gleichförmig. Es entstanden
unterschiedlich große Höfe und manche zusätzlichen Gebäude wurden
etwas in den Dorfplatz vorgezogen und andere nach hinten
zurückversetzt. Jedenfalls wurde die Bebauung dichter.
Bei allen
Variationen wurde aber darauf geachtet, dass die Gesamtstruktur des
Dorfes mit dem zentralen Platz erhalten blieb und über viele
Jahrhunderte (bis Ende des 19. Jahrhunderts) wurden ausschließlich
Hallenhäuser um den Platz gruppiert und immer mit dem
Wirtschaftsgiebel zum Platz gerichtet. Bei aller Regelmäßigkeit
erhielt doch jedes Dorf ein individuelles Bild, eine kreisrunde oder
eine ovale Form oder andere Variationen.
Auch die Hallenhäusern haben
trotz sehr gleichförmiger Architektur jeweils ein individuelles
Gesicht. Bei genauer Betrachtung gleicht keines einem anderen. Oberflächlich betrachtet sind sie alle ähnlich, mit einem
großen zentralen hoch und breit geschwungenen Einfahrtstor in der
Mitte und zwei kleinen Stalltüren an den Seiten. Sie haben eine
kunstvolle Fachwerkfassade mit eingeschnitzten und farbig bemalten
Dekorationen. Dabei tragen die langen Balken religiöse Sprüche, der
Torbalken die Namen der Erbauer und das Baujahr und die Torständer
sind mit Blumenornamenten geschmückt. Es gibt drei Arten von
Niederdeutschen Hallenhäusern und diese Typen sind im Wendland noch in
beträchtlicher Anzahl vorhanden. |
![](../Fotos/Weitsche-Hof%20Voss-10.07.2011-8982.jpg)
Weitsche
![](../Fotos/049-Dolgow-2272.jpg)
Dolgow
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Die drei Typen vom Niederdeutschen Hallenhaus
Zwei-, Drei- und
Vierständerhäuser
Keines dieser Häuser steht nur auf zwei, drei oder
vier Ständern / Pfosten. Diese Einteilung bezieht sich lediglich auf
die Anzahl der Ständer, die einen Dachbalken tragen, auf dessen Enden
wiederum die Sparren stehen. Wenn ein solches Grundelement
(„Gebinde“), bestehend aus Sparren, Balken und Ständern nur zwei
Ständer enthält, spricht man von einem Zweiständerhaus. Bis zu 14
Grundelemente stehen hintereinander über die Länge des Hauses und
bilden das Grundgerüst für das Gebäude. Somit ergeben sich zwei
Ständerreihen, die die Dachbalken tragen und gleichzeitig als Gerüst
für die Seitenwände der Diele / Halle genutzt werden. Beim
Zweiständerhaus wird das Dach über die tragenden Balken hinaus nach
unten verlängert und es werden zwei niedrige Außenwände angefügt, die
aber das Dach nicht tragen. Dadurch entstehen links und rechts neben
der Diele niedrige Räume, die vornehmlich als Stall für Kühe und
Pferde dienen. Das Dreiständerhaus hat im Wesentlichen die gleiche
Konstruktion. Aber es wird eine zusätzliche Ständerreihe angefügt, die
gleichzeitig eine Außenwand bildet, die nun deutlich höher ist, als
die andere Außenwand. Das Haus wirkt von außen etwas asymmetrisch. Das
große Dielentor steht in der Mitte der Grundlinie des Giebels, aber
gegenüber dem Dachfirst / der Giebelspitz versetzt. (Die Giebelspitze
ist nicht über der Mitte der Grundlinie.)
Das Dreiständerhaus ist im
Verbreitungsgebiet des Niederdeutschen Hallenhauses selten, aber im
Wendland vergleichsweise häufig.
Das Vierständerhaus ergibt
sich nun plausibel, wenn eine vierte Ständerreihe auf der anderen
Seite des Hauses die Außenwand bildet. Bei voller Symmetrie haben
beide Außenwände die gleiche Höhe. (Jedes Grundelement der
Gesamtkonstruktion besteht aus vier Ständern, einem waagerechten
Balken und zwei schrägen Dachsparren.) |
Zweiständerhaus in Trebel
![](../Fotos/Rehbeck-4.12.2007-4219.jpg)
Dreiständerhaus in Rehbeck
![](../Fotos/21_Meuchefitz-2-kl.jpg)
Vierständerhaus in Meuchefitz
![](../Fotos/16_Mammoissel.jpg)
Mammoißel
![](../Fotos/Zebelin-10.04.2012-0892.jpg)
Zebelin
![](../Fotos/Duensche-20.12.2008-9119-s.jpg)
Dünsche
![](../Fotos/05_Jabel.jpg)
Jabel
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Warum Rundlinge nur im Wendland?
Wo auch immer in der Welt runde Dörfer
existieren, unterscheiden sie sich grundlegend von den Rundlingen im
Wendland. Der Begriff Rundling wurde schon im 19. Jahrhundert benutzt,
kreiert zur Unterscheidung von anderen runden Dörfern. Weil die
Rundlinge signifikante Merkmale haben, die anderswo nicht zu finden
sind, wurde diese Bezeichnung von damaligen wissenschaftlichen
Forschungsreisenden speziell für die Dörfer im Wendland definiert.
Insofern gibt es sie also eigentlich per Definitionem nur hier.
Wenn
wir dennoch von einem großen Verbreitungsgebiet der Rundlinge im
Mittelalter sprechen, beziehen wir dabei den Begriff auf die
Ursprungsform der Gründungsphase im Mittelalter. Bis ins 18. / 19.
Jahrhundert entwickelte sich diese Dorfform jedoch nur im Wendland in
der beschriebenen Weise, so dass die in Grundriss und Aufriss
prägnante Dorfstruktur in dieser Ausprägung nur im Wendland
existierte, als der Begriff gebildet wurde. Es bleibt aber die Frage,
warum die Dörfer im Wendland sich so und nicht anders entwickelten und
auch noch bis ins 21. Jahrhundert erhalten blieben. Als Antwort werden
einige Argumente angeführt, die plausibel klingen, aber letztlich doch
Spekulation bleiben. Die Region lag in allen Zeiten entfernt von den
sich entwickelnden Zentren der kirchlichen und weltlichen Macht,
entfernt von Handelszentren und Handelswegen, entfernt von Klöstern
und Bischofsstädten, bis heute entfernt von Großstädten. Auch die
Industrialisierung ging wegen der weiten Wege an der Region vorbei.
Fast immer lag das Wendland an der Grenze eines politischen
Machtbereichs. Des Weiteren wird oft angeführt, das Wendland wäre
immer eine arme Gegend gewesen. Dem steht aber entgegen, das die
Bevölkerungsdichte hier im Vergleich zu Nachbargebieten (alle anderen
Lüneburgischen „Ämter“) am höchsten war. Die Landwirtschaft war durch
Boden- und Wasserverhältnisse im Wendland begünstigt und somit konnte
ein gewisser Wohlstand erwirtschaftet werden. Dafür spricht auch die
geringe Zahl von Auswanderern nach Amerika im 19. Jahrhundert. Im Süden
und Osten des Wendlands (Preußische Altmark) wurde schon im 18.
Jahrhundert wegen der Brandgefahr der Neubau von Hallenhäusern
verboten und für eine Trennung von Wohnhaus und Wirtschaftsgebäuden
und damit auch für eine Auflösung der engen Dorfstruktur gesorgt. Auch
im Königreich Hannover drängten Obrigkeit und Feuerversicherungen nach
Großfeuern auf eine Umstrukturierung der Dorfanlage. Dies gelang in
anderen Regionen und auch bei einigen Dörfern im Wendland, besonders
im nördlichen Bereich, aber viele wendländische Dorfgemeinschaften
waren gegenüber solchen Modernisierungen lange resistent. So wurden
bis Mitte des 19. Jahrhunderts Rundlinge als solche wieder aufgebaut
lediglich mit kleinen Kompromissen bezüglich Abstand der Häuser und
vielleicht Aussiedlung einzelner Höfe. Auf jeden Fall hielt man aber
bis zum Ende jenes Jahrhunderts am Bau von Hallenhäusern fest. In den
Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg, einer Zeit der allgemeinen
Prosperität, wächst auch im Wendland der Wohlstand und ein wenig
Industrie. In dieser Zeit finden wir in den Rundlingen einzelne
Bauernwohnhäuser im Stil der Zeit, teils weiterhin mit Fachwerk, aber
auch in prunkvoller Backsteinbauweise der Gründerzeit. Diese Gebäude,
die keinen Wirtschaftsgiebel mehr zum Rundlingplatz zeigen, bleiben
aber Ausnahmen. Es mag an geringen finanziellen Möglichkeiten liegen,
dass viele Bauern ihre in die Jahre gekommenen Hallenhäuser lieber
restaurierten, vielleicht marodes Fachwerk hier oder da durch massives
Mauerwerk ersetzten, statt einen Neubau zu errichten. Jedenfalls
überstehen viele Rundlinge nahezu unversehrt auch diese Zeit und die
dann noch folgenden, besonders konservativen Jahrzehnte bis zum Ende
des Zweiten Weltkriegs.
Alle kurz beschriebenen Argumente sind für
eine vollständige Antwort nicht ganz befriedigend, weil gerade die
Ausnahmen zeigen, dass eine Auflösung der Rundlingsstruktur spätestens
im 19. Jahrhundert möglich und eigentlich naheliegend war. Deshalb
muss die soziale Komponente den Ausschlag geben. Die Dorfbevölkerung
wollte ihr Wohn- und Arbeitsumfeld so gestalten (und gestaltet
behalten), wie es nur die spezielle Form des Rundlings und seiner
Hallenhäuser möglich macht. Trotz aller Nachteile, auch in der Enge
des sozialen Zusammenlebens und den sicherlich häufigen
„gruppendynamischen Prozessen“, muss dass hier mögliche
Gemeinschaftsgefühl stärker gewesen sein, als der Drang nach
Privatsphäre und individuellen Entwicklungsmöglichkeiten.
Einzelne
Teilgebiete des Wendlands weisen bei allen Prozessen Unterschiede auf,
die nicht ganz vernachlässigbar sind. Aufgrund der allgemeinen
Diskriminierung wendisch-slawischer Relikte (Sprache, „Aberglaube“,
etc.) im 17. und 18. Jahrhundert erfolgte das Leugnen oder Lossagen
von der wendischen Herkunft und Abstammung auch in Teilen des
Wendlands. Es fand entlang der Elbe und im Südwesten der Region
deutlicher statt, so dass man sich dort im Laufe des 19. Jahrhunderts
nicht mehr zum Wendland gezählt wissen wollte, während man im übrigen
Teil der Region weiterhin mit Stolz auf die Vergangenheit blickte. Das Im-Rundling-Wohnen galt als besondere wendische Eigenart, weil man
allgemein (fälschlich) annahm, diese Siedlungsform sei von den Slawen
mitgebracht worden. Somit war man in Teilbereichen eher bereit, die
Dorfstruktur umzugestalten. Deshalb sind heute die auffällig gut
erhaltenen Rundlinge ungleich in der Region verteilt. |
Entwicklung nach 1945
Nach 1945 wirken weitere Faktoren auf die Rundlinge.
Mit der
Flüchtlingswelle kamen 1945 andere Menschen in großer Zahl in die Dörfer.
Die erneute Grenzlage, gravierender als je zuvor, verstärkte
das Abseits der Region.
Das westdeutsche Wirtschaftswunder der 1950er
Jahre ermöglichte wirtschaftliche Förderung des entlegenen Gebiets.
Die
technische Entwicklung in der Landwirtschaft stellte neue Anforderung
an die Wirtschaftsgebäude.
Die Aufgabe vieler kleiner Höfe zu Gunsten
großer wachsender Betriebe führte zu Leerstand von nicht mehr
zeitgemäß nutzbaren Hallenhäusern. Diese drohten zu verfallen oder
wurden durch reine Wohnhäuser ersetzt.
Die Tendenz wird in den 1960er
Jahren von manchen Wendländern, aber jetzt besonders auch von
„Obrigkeiten“ und Wissenschaftlern als erschreckend und bedauerlich
betrachtet. Die Verbindung der wirtschaftlichen Interessen mit dem
Traditionsbewusstsein der ansässigen Bevölkerung und zusätzlich mit
dem Anliegen denkmalorientierter Wissenschaftler führte Landes- und
Kommunalpolitiker, Regionalplaner, Heimatforscher und Wissenschaftler
zusammen, um gemeinsam Kräfte für den Erhalt der Siedlungsform der
Rundlinge im Wendland einzusetzen. Bei der Gründung des Vereins
zur Erhaltung von Rundlingen im Hannoverschen Wendland e.V. 1969
wurden in den ersten Vorstand sowohl Persönlichkeiten aus der Region
als auch Wissenschaftler und Amtsträger aus Hamburg, Braunschweig,
Lüneburg und Hannover gewählt. Das überregionale Interesse an der
Erhaltung dieser Siedlungsform ermöglichte in den folgenden
Jahrzehnten, das erhebliche finanzielle Mittel zur Dorferneuerung, zur
Gründung eines Museums, für Forschung und Öffentlichkeitsarbeit
investiert werden konnten. Ein entscheidender Faktor für den Erfolg
waren die zahlreichen Liebhaber alter Gebäude, die vornehmlich aus
Berlin aber auch aus der ganzen Bundesrepublik kamen und die leer
stehenden Höfe aufkauften. Sie setzten ihr außerhalb des Wendlands
erwirtschaftetes Kapital mit Engagement und Gefühl für die
Restaurierung der alten Bausubstanz ein.
Es war den Akteuren klar, dass
die Nutzung der historischen Bauernhäuser durch lauter kleine
Landwirte keine Zukunft hatte. Deshalb hoffte man auf Menschen mit
Kreativität, Fantasie und Unternehmungslust, die eine neue Nutzung für
die Gebäude finden und das Vorhandene mit behutsamer Renovierung in
Besitz nehmen würden. Mehrere Trends trugen dazu bei, dass die
Hoffnung aufging und dem behördlichen Denkmalschutz gelang es, die
Kreativität der neuen Eigentümer von schützenswerten Objekten auf das
Gefühl für die erhaltenswerte Substanz zu lenken. So entstand in
diesen Dörfern eine hochdifferenzierte Sozialstruktur von Menschen,
die entweder hier blieben oder hier herkamen, weil sie in diese Art zu
wohnen und zu leben ihre Lebensqualität finden. |
![](../Fotos/03_Ghlitz.jpg)
Gühlitz
![](../Fotos/Goettien-20.12.2008-9143.jpg)
Göttien
![](../Fotos/Suethen-IGB-19.8.2010-5642.jpg)
Süthen
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Kulturerbe Rundlinge im Wendland
Im Wendland wissen wir von mehr als 200 Dörfern, die eindeutig auf
den "Verkopplungskarten" in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
noch als Rundlinge dargestellt werden. Derzeit gehen wir davon aus,
dass etwa 80 Dörfer im Wendland auch mit ungeschultem Blick und ohne
historische Forschung heute noch als Rundlinge erkennbar sind. Viele
dieser Dörfer weisen zwar größere Lücken im Rundlingscharakter auf,
enthalten aber besonders sehenswerte historische Hallenhäuser.
Von den Dörfern, die ihren Rundlingscharakter weitgehend unversehrt
behalten haben, werden 15 in der Bewerbung um die Anerkennung der
Rundlingslandschaft als UNESCO-Weltkulturerbe als Beispiele
genannt und beschrieben.
Die Samtgemeinde Lüchow (Wendland) war mit dieser Bewerbung auf der
Landesebene Niedersachsen erfolgreich (2012), so dass die Rundlinge
2013 vom nationalen Gremium mit anderen Bewerbungen aus Deutschland
verglichen werden und gute Chance haben, dem internationalen Gremium
der UNESCO empfohlen zu werden.
Der Rundlingsverein, der lange die Erhaltung dieser einzigartigen
Dörfer für die Nachwelt unterstützt hat, richtet seinen
Arbeitsschwerpunkt jetzt auf die Untermauerung und auf die
internationale Publizität dieses Anliegens. Wir sind uns bewusst, dass
die Anerkennung als UNESCO-Weltkulturerbe ein zwar hochgestecktes,
aber durchaus berechtigtes Ziel ist. Denn in dieser einzigartigen
Siedlungslandschaft pulsiert modernes Leben unter Bewahrung von
Tradition und historischer Substanz.
Der Rundlingsverein führt eine systematische Bestandsaufnahme der
200 bestehenden und ehemaligen Rundlinge durch. Dieses Projekt ist auf
zwei Jahre angelegt, um detaillierte Informationen über die aktuelle
Situation, den vorhandenen Gebäudebestand und über die
Zukunftsaussichten und Probleme zu sammeln. Damit wird der Verein eine
umfassende Analyse vorlegen, auf deren Grundlage Maßnahmen für die
weitere Erhaltung und die zukünftige Gestaltung diskutiert werden
können. |
![](../Fotos/Breese-i.Br.-01.11.2009-4277.jpg)
Breese i. Br.
![](../Fotos/Luesen-26.03.2012-0620-s.jpg)
Lüsen
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Ilka Burkhardt-Liebig
Burghard Kulow
November 2012 |
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